Mittwoch, 24. Oktober 2007
Der Herthafan
Er hasste diese Fratzen. Sie machten ihn wütend, wie sie mit bedepperter Miene in der Bahn mit ihrem Akkordeon lang liefen und ihre Kinder mit traurigen Augen zu den Mitfahrenden betteln schickten. Sollten sie ihn doch in Ruhe lassen. „Hab doch selbst kein Geld“, schnauzte er laut und blickte dazu finster. Das Kind mit dem klimpernden Pappbecher ging schnell an ihm vorbei und schaute auf den Boden der U- Bahn. Die Menschen um ihn herum sahen ihn ängstlich an. Er war groß und breit, Augenringe standen tief und dunkel, Bartstoppeln umgaben den angespannt aggressiv zuckenden Mund. Er hatte eine Sportjacke an – ein Herthafan – eine helle Mütze, die er sich tief in die Stirn gezogen hatte und eine leicht verschmutzte Jeans, in der Gesäßtasche eine Flasche Bier, aus der er dann und wann einen verächtlichen Schluck nahm. „Zigeunerpack“, stieß er aus, packte die gelbe Haltestange über ihm und machte kräftige Klimmzüge. Er sah nun ein wenig so aus, als wolle er die Welt zu sich herabziehen um ihr mal richtig die Meinung zu sagen. Nach drei Zügen machte er Halt, stand neben dem Eingang und boxte mit weit ausholenden Schwüngen in Richtung Tür, auf der er sich in der vorbeischnellenden Dunkelheit spiegelte. Eine junge Frau ging hastig ein paar Schritte weiter; die übrigen Fahrgäste schauten zu Boden. „Was seid ihr nur alles für Affen!“, der angetrunkene Herthafan hatte sich von seinem Spiegelbild abgewandt und blickte nun düster in die Runde. Die Bahn fuhr in eine Haltestation ein. Ein älteres Paar wechselte das Abteil, der Akkordeonspieler und sein Kind ebenfalls. „Nehmen sie sich mal zusammen junger Mann!“ Eine fast flüsterleise Stimme kam aus der Ecke. Die alte Frau hatte nicht einmal den Kopf von ihrer Strickarbeit gehoben und doch klangen ihre leisen Worte im Abteil nach. Der Angesprochene blickte kurz verunsichert, machte dann ein böses Gesicht und stolperte auf die alte Frau zu. „Haste was zu sagen Oma?“, er war wütend und spuckte, „Dann mal raus mit der Sprache!!“. Die alte Frau strickte weiter. Er baute sich vor der alten Frau auf. Ihm war ein Schnürsenkel aufgegangen, nass und dreckig lag er auf dem Boden, der Herthafan wartete kurz auf eine Antwort, packte dann das Strickzeug und warf es in den Gang. Ein junger Mann nahm allen Mut zusammen und protestierte. Er war ein Kopf kleiner als der betrunkene Herthafan und bekam einen Schlag unter das Auge. Seine Brille flog demoliert zu Boden, aus einer Schnittwunde trat Blut aus. Der junge Mann kapitulierte sichtlich getroffen. Im Abteil war es still. Der Herthafan wandte sich wieder der alten Frau zu, die ihn nun unverwandt ansah. „Warum bist du so wütend?“, fragte sie ihn. „Was lässt dich so böse werden?“ Er bückte sich zu der alten Frau hinunter, sein Gesicht war nun nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt. „Weil hier alle spinnen, Alte. Weil hier alle nur Theater machen und so tun als ob. Weil die ein Ding zu laufen haben, alle hier. Die tun alle so wichtig. Oder sie tun alle nur so, als ob. Und mir sollen die Zigeuner leid tun mit ihrem Gedudel und ihren beschissenen Gesichtern? Die schenken mir alle auch nix, gar nischt, verstehst du. Und so ne alten Besserwisser reißen auch noch das Maul auf, als ob ihr was zu sagen hättet, ihr Staubköpfe. Mann verrecke doch die alte Sau!“ Er hatte sich in Rage geredet, sein Gesicht war rot gefleckt. Jemand telefonierte mit der Polizei. „So redest du nicht mit mir!“ Sie hatte es bestimmt gesagt und streng. Er zögerte kurz, dann fauchte er „Ich rede mit jedem, wie mir es passt du Fotze!“ Es knallte. Er blickte erstaunt. Sie hatte nicht weit ausgeholt, doch die Ohrfeige war hart gewesen. Er führe die Hand an die Wange, die ihm brannte. Er zögerte kurz. Jeglicher wütende Ausdruck war aus seinem Gesicht verschwunden. Jetzt lag nur noch Schmerz in seinem Blick. Schmerz und Empörung und Enttäuschung und Traurigkeit. Sie nahm seinen Kopf in ihre Hände und sah ihm in die Augen. Er ließ es zu und blickte zu Boden. Er ballte die Fäuste und konnte sich doch nicht mehr wehren. Unter heftigen Stößen begrub er seinen Kopf in ihrem Schoss und weinte. Die Mütze rutschte ihm vom Kopf und fiel zu Boden. Er weinte leise und sie streichelte seinen Nacken. Jemand gab ihr das Strickzeug zurück. Sie bedankte sich mit einem Nicken. „Geh morgen wieder zu Fuß zur Arbeit und lass das Trinken“ sagte sie leise aber bestimmt zu dem heulenden Schädel auf ihrem Schoss. Er blickte auf. Ein Spuckefaden hing ihm von der Lippe. Er sagte nichts aber er nickte.
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2 Kommentare:
danke bast!
ja. danke. das brauche ich. besonders montagmorgens, wenn ich aufm bahnsteig ostkreuz stehe und mir der kalte wind in den kragen fährt.
also danke. für das.
und rob: cool!
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