Aus "Die Frequenzen" von Clemens J. Setz
"Seit wenigen Stunden ist es Montag, der letzte Tag der Woche. Meine Woche begann bisher immer mit dem Dienstag. Der Dienstag ist ein alter Mann mit Blumen am Hut, sehr gelb im Gesicht, und seine Augen sind fast nur Zwinkern. Das Gelb erinnert an die Farbe von giftigem Weizen, eine alptraumhafte Schattierung von dunklem Gold. Der Mittwoch hat die seltsamste Farbe, wahrscheinlich, weil er als einziger Tag derWoche nicht auf die helle Silbe -tag endet. Er ist gesprenkelt, ein wenig wie einWollknäuel aus verschiedenfarbigen Fäden. Der Donnerstag ist majestätisch und rein, seine Farbe ist ein helles Silber, das irgendwie mit dem Tastgefühl der Fingerspitzen verwandt ist. Der Freitag ist entschieden grün, aber sonst fehlt es ihm an Charakter, er ist das fünfte Rad am Wagen, er übertritt gewissermaßen die Symetrie. Der Samstag ist dunkel, fast braun, manchmal schwarz, aber es ist ein schönes Schwarz, die Farbe eines Wundschorfes, kurz bevor er sich löst und neu gewachsene rosa Haut freigibt. Der Sonntag schließlich ist dunkelblau, aber trotzdem hat er etwas von einem Stück Schokolade, in das man beißen möchte. Der Montag kommt in meiner Aufzählung deshalb als letzter, weil er der hässlichste Tag der Woche ist und den ersten Platz nicht verdient hat, er ist rot und nackt, wie ein Stück Fleisch."
2 Kommentare:
sehr schön, wirklich. die wochentage und ihre farben...
und die metaphern, tapfer. was gibts sonst noch von ihm? sandro
und wie biste dran gekommen?
ich lese gerade das buch zum zitat. noch 630 seiten und du kannst es haben.
b.
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